Indiens Toilettenproblem (2. Teil)

„Hygiene ist wichtiger als politische Unabhängigkeit.“ (Zitat Mahatma Gandhi)

“Ich würde lieber etwas Geld zahlen, um eine saubere Toilette benutzen zu können“, schrieb mir vor einigen Tagen eine Leserin auf meinen Blogeintrag „Eine Lösung für Indiens Toilettenproblem“ von Anfang Oktober. Darin hatte ich von meiner Begegnung mit einem jungen Unternehmer berichtet, der die indische Regierung dazu bringen möchte, die öffentlichen Toiletten mit Kaffeeverkaufsständen auszustatten. Damit könnte die Toilettenreinigung finanziert werden, so seine Idee.

Pinkelnde Männer am Straßenrand sind in Indien noch häufig zu sehen, selbst dann, wenn eine öffentliche Toilette nicht weit ist. Für Frauen ist das Problem noch größer.

Die Reaktion hat mich veranlasst, mich etwas ausführlicher mit Indiens Toilettenproblematik zu beschäftigen. Kurz gesagt, Geld kann helfen, das Problem zu minimieren, aber es ist nicht nur eine Frage des Geldes.

Eine Milliarde Menschen weltweit, so schrieb das Wochenmagazin Die Zeit 2015, erleichtern sich im Freien. 600 Millionen davon lebten in Indien, hieß es in dem Artikel weiter. Eines der sogenannten Milleniumsziele der Vereinten Nationen sei es gewesen, den Misstand bis 2015 zu beheben. Dieses Ziel wurde verfehlt. Tatsächlich gab die offizielle indische Statistik vor Jahren noch an, dass mehr als 60 Prozent keinen Zugang zu einem WC hätten. Kurz nach seiner Wahl startete Indiens Premierminister Narendi Modi eine große Toilettenkampagne. Seit Ziel: bis zum 150. Geburtstag Mahatma Ghandis am 2. Oktober 2019 soll kein Inder mehr auf die Felder müssen.

Vor allem für viele Frauen ist der Gang auf die Felder gefährlich. Viele Übergriffe und Vergewaltigungen finden statt, so wird immer wieder berichtet, wenn die Frauen unterwegs sind, ihre Notdurft zu verrichten.

Eine moderne, öffentliche Toilette – davon soll es künftig mehr geben, gesehen in Neu Delhi

Was zunächst gut klingt, funktioniert in der Praxis nur bedingt. Zwar sind in Städten wie etwa Delhi tatsächlich viele neue, öffentliche Toiletten errichtet worden. Jüngst veröffentlichte Sulab International, eine NGO, die sich für den Bau von Toiletten einsetzt, Indien habe jetzt eine Abdeckung von 93 Prozent erreicht.

Doch trotz der vorhandenen Toiletten, werden diese nicht  immer genutzt, wie unschwer zu riechen ist. Es gehe nicht nur darum Toiletten zu bauen, sondern die Inder auch davon zu überzeugen, diese zu nutzen, sagen Wissenschaftler. Viele Menschen seien einfach nicht gewohnt, Toiletten zu nutzen, so einer der Gründe. Aber auch der Hinduismus spiele eine Rolle, wird mir gesagt. Exkremente gelten im Hinduismus als unrein. Eine Toiletten im Haus zu haben, ist für viele daher unvorstellbar. Und auch das Kastensystem mag eine Rolle spielen.

Bloß keine Toilette in der Wohnung haben. Exkremente gelten im Hinduismus als unrein. Deshalb ist die Toilette links, während es rechts in die Wohnräume geht. Immerhin gibt es Toiletten. Viele Häuser in diesem Umquartierungsprogramm der Slumbewohner in Chennai sind ohne Toiletten gebaut worden.

„Für Angehörige der höheren Kasten ist es unvorstellbar, dieselbe Toilette zu nutzen wie ich“, erzählt mir ein junger Mann. In Deutschland würde ich sagen, er ist jemand, der es trotz seiner sozialen Herkunft zu etwas gebracht hat. Auf mich wirkt er intelligent, klug, eloquent, sympathisch. All das ändert nichts an der Tatsache, dass in Indien jeder an seinem Nachnahmen erkennen kann, welcher Kaste er angehört. Ich hatte das schon gehört, aber jetzt bekommen gleich zwei Probleme der indischen Gesellschaft für mich ein Gesicht: Hier ein Mann, mit einem guten Beruf, der aufgrund seiner Kastenzugehörigkeit eigentlich nur auserkoren ist, den Dreck und die Toiletten anderer zu putzen….

Selbst beim Pinkeln sind nicht alle Menschen gleich. Eine öffentliche Männertoilette in Delhi.

 

 

 

 

Eine Lösung für Indiens Toilettenproblem?

Eigentlich sollte der gestrige Abend ein netter Abend anlässlich des „Tag der deutschen Einheit“ werden. Der Abend war auch schön, zweifelsohne. Der deutsche Botschafter hatte in den Garten seiner Residenz eingeladen. Mehrere hundert Menschen waren der Einladung gefolgt. Es gab deutsches Essen, Wein, Bier und Kölsch, denn in diesem Jahr war das Nordrhein-Westfalien Mitausrichter der Festlichkeit.

Die Botschaft geschmückt in den Farben des Gastgeberlands Nordrhein-Westfalen

Nicht nur für die Diplomaten der deutschen Botschaft, auch für viele Deutsche, die in Delhi leben, ist das Botschaftsfest ein wichtiger Termin. Hier trifft man sich, tauscht sich aus, schafft neue Kontakte, lernt sich kennen. Zum Auftakt singt ein Chor die indische und die deutsche Nationalhymne, was ich sehr bewegend finde.

Unter den vielen Visitenkarten, die ich an diesem Abend nach Hause nehme, ist auch die eines indischen Jungunternehmers. Ja, Indien habe ein Problem mit seinen öffentlichen Toiletten, erzählt er. (In einem früheren Blogeintrag) hatte ich darüber berichtet. Viele Menschen müssen öffentliche Toiletten benutzen. Die sind häufig nicht sauber, für Frauen unzumutbar und unhygienisch.

eine öffentliche Toilette in Neu-Delhi, diese ist nur für Männer vorgesehen

Aber das lasse sich ändern, berichtet er zuversichtlich, heute habe er seine Idee der Regierung vorgestellt.. Die Toiletten, so seine Idee, sollten mit einem Coffeeshop versehen werden. Dessen Einnahmen sollten in die Reinigung der Toiletten fließen. So könnten Sie immer sauber gehalten werden. Und wer kein Geld habe für einen Kaffee, könne nach wie vor weiter die Toilette kostenlos benutzen? Nur eine Geschäftsidee oder die Lösung für ein landesweites Problems? Auf jeden Fall nutze der junge Geschäftsmann die Gelegenheit, seine Idee zu streuen.