Indien in Feierlaune

Als ich am Montagmorgen ins Büro komme, strahlt Sani, die Praktikantin, übers ganze Gesicht. Außerdem trägt sie einen Sari. Das tut sie sonst nicht. „Ich gehe heute Abend noch zu einer Durga Puja-Feier“, erzählt sie fröhlich. Durga Puja ist das hinduistische Fest zur Ehren der Göttin Durga. Ursprünglich kommt das Fest aus Bengalen, heute das Gebiet von Kalkutta und Bangladesch. Unter dem Namen  Navarati wird es auch in anderen Landesteilen gefeiert. (Wie genau, werde ich noch berichten).

Die Göttin Durga ist im Hinduismus eine der beliebtesten Göttinnen, obwohl ihr Name die schwer Zugängliche bedeutet. Sie gilt als die Göttin der Vollkommenheit und wird gern als Töterin des Büffeldämons dargestellt.

Schon seit Wochen wurde  mir immer wieder angekündigt: diese Jahreszeit ist besonders, es ist die Feiertagssaison. „Es ist wie bei euch die Advents-und Weihnachtszeit“, versuchten mir einige Inder, die schon in Deutschland gelebt haben, zu erklären. Die Menschen sind fröhlicher, man ist viel mit der Familie zusammen, beschenkt sich.  Manche nutzen die Feiertage auch für Kurztripps. Begonnen hat die Saison im September mit #Ganesh Charturthi, nun ist das neuntägige #Navratifest dran, bevor im November das Lichterfest #Diwali den Zyklus beendet.

Geschäftsidee: Diwalikuchen soll das Leben versüßen, gesehen beim US-Kaffeeanbieter Starbucks

Ähnlich wie die Weihnachtszeit in Deutschland, ist auch in Indien die Feiertagssaison auch eine Zeit des Konsums. Banken werben mit besonderen Krediten, hoffen auf konsumfreudige Kunden aus der indischen Mittelschicht.

Zur Festivalssison bieten Banken besondere Kredite an, um die Konsumlaune der indischen Mittelschicht zu fördern

In diesem Jahr setzt die indische Autoindustrie hohe Erwartungen in die Feiertage, berichtet die englischsprachige Ausgabe der HindustanTimes. In den letzten drei Monaten seien die Umsätze nicht so gut gewesen, so das Blatt, nun hoffen die Autobauer auf eine gute Festsaison. Ein eigenes Auto zu besitzen, ist der Traum vieler Inder.

Auch Indiens vielfältige Zeitungslandschaft lebt von der Festsaison.

Auch Zeitungsmacher und -Verlage schauen gespannt auf die Festsaison. Die rund 280 Millionen Zeitungen, die täglich in Indien gedruckt werden, leben hauptsächlich vom Anzeigengeschäft. Doch wie auch in Deutschland haben Verleger mit sinkenden Auflagen, steigenden Kosten und dem Überleben ihrer Blätter zu kämpfen. Läuft das Anzeigengeschäft während der Festtage gut, sichert uns das die Existenz unserer Zeitung, hatte uns vor Wochen der Chefredakteur einer der größten Zeitungen des Landes verraten.

Indien lieben Zeitunglesen

Durga Puja dauert noch bis kommenden Freitag. An dem Tag wird auch nicht gearbeitet. „Wir kommen dafür am Samstag ins Büro“, erzählt mir die Sekretärin. Die Arbeit müsse doch trotz der Feiern erledigt werden.

 

Indiens Toilettenproblem (2. Teil)

„Hygiene ist wichtiger als politische Unabhängigkeit.“ (Zitat Mahatma Gandhi)

“Ich würde lieber etwas Geld zahlen, um eine saubere Toilette benutzen zu können“, schrieb mir vor einigen Tagen eine Leserin auf meinen Blogeintrag „Eine Lösung für Indiens Toilettenproblem“ von Anfang Oktober. Darin hatte ich von meiner Begegnung mit einem jungen Unternehmer berichtet, der die indische Regierung dazu bringen möchte, die öffentlichen Toiletten mit Kaffeeverkaufsständen auszustatten. Damit könnte die Toilettenreinigung finanziert werden, so seine Idee.

Pinkelnde Männer am Straßenrand sind in Indien noch häufig zu sehen, selbst dann, wenn eine öffentliche Toilette nicht weit ist. Für Frauen ist das Problem noch größer.

Die Reaktion hat mich veranlasst, mich etwas ausführlicher mit Indiens Toilettenproblematik zu beschäftigen. Kurz gesagt, Geld kann helfen, das Problem zu minimieren, aber es ist nicht nur eine Frage des Geldes.

Eine Milliarde Menschen weltweit, so schrieb das Wochenmagazin Die Zeit 2015, erleichtern sich im Freien. 600 Millionen davon lebten in Indien, hieß es in dem Artikel weiter. Eines der sogenannten Milleniumsziele der Vereinten Nationen sei es gewesen, den Misstand bis 2015 zu beheben. Dieses Ziel wurde verfehlt. Tatsächlich gab die offizielle indische Statistik vor Jahren noch an, dass mehr als 60 Prozent keinen Zugang zu einem WC hätten. Kurz nach seiner Wahl startete Indiens Premierminister Narendi Modi eine große Toilettenkampagne. Seit Ziel: bis zum 150. Geburtstag Mahatma Ghandis am 2. Oktober 2019 soll kein Inder mehr auf die Felder müssen.

Vor allem für viele Frauen ist der Gang auf die Felder gefährlich. Viele Übergriffe und Vergewaltigungen finden statt, so wird immer wieder berichtet, wenn die Frauen unterwegs sind, ihre Notdurft zu verrichten.

Eine moderne, öffentliche Toilette – davon soll es künftig mehr geben, gesehen in Neu Delhi

Was zunächst gut klingt, funktioniert in der Praxis nur bedingt. Zwar sind in Städten wie etwa Delhi tatsächlich viele neue, öffentliche Toiletten errichtet worden. Jüngst veröffentlichte Sulab International, eine NGO, die sich für den Bau von Toiletten einsetzt, Indien habe jetzt eine Abdeckung von 93 Prozent erreicht.

Doch trotz der vorhandenen Toiletten, werden diese nicht  immer genutzt, wie unschwer zu riechen ist. Es gehe nicht nur darum Toiletten zu bauen, sondern die Inder auch davon zu überzeugen, diese zu nutzen, sagen Wissenschaftler. Viele Menschen seien einfach nicht gewohnt, Toiletten zu nutzen, so einer der Gründe. Aber auch der Hinduismus spiele eine Rolle, wird mir gesagt. Exkremente gelten im Hinduismus als unrein. Eine Toiletten im Haus zu haben, ist für viele daher unvorstellbar. Und auch das Kastensystem mag eine Rolle spielen.

Bloß keine Toilette in der Wohnung haben. Exkremente gelten im Hinduismus als unrein. Deshalb ist die Toilette links, während es rechts in die Wohnräume geht. Immerhin gibt es Toiletten. Viele Häuser in diesem Umquartierungsprogramm der Slumbewohner in Chennai sind ohne Toiletten gebaut worden.

„Für Angehörige der höheren Kasten ist es unvorstellbar, dieselbe Toilette zu nutzen wie ich“, erzählt mir ein junger Mann. In Deutschland würde ich sagen, er ist jemand, der es trotz seiner sozialen Herkunft zu etwas gebracht hat. Auf mich wirkt er intelligent, klug, eloquent, sympathisch. All das ändert nichts an der Tatsache, dass in Indien jeder an seinem Nachnahmen erkennen kann, welcher Kaste er angehört. Ich hatte das schon gehört, aber jetzt bekommen gleich zwei Probleme der indischen Gesellschaft für mich ein Gesicht: Hier ein Mann, mit einem guten Beruf, der aufgrund seiner Kastenzugehörigkeit eigentlich nur auserkoren ist, den Dreck und die Toiletten anderer zu putzen….

Selbst beim Pinkeln sind nicht alle Menschen gleich. Eine öffentliche Männertoilette in Delhi.

 

 

 

 

Warum Frauen in den Tempel gehen, um Kinder zu bekommen – mein Versuch, den Hinduismus zu verstehen

Der Hinduismus ist eine der Religionen, die ich bislang am wenigsten verstehe und zu denen ich bisher auch kaum Zugang hatte. Das heißt, irgendwie ist der Hinduismus -oder das, was ich davon mitbekommen auch wiederum einfach zu erklären: es gibt eine Vielzahl an Götter, wohl rund drei Millionen, und jeder sucht sich den aus, der eben passt. So hat jede Familien ihren Gott und es gibt auch durchaus regionale Unterschiede. Dafür kein Papst, der sagt, wo‘s langgeht, keine Dogmen, keine organisierte Kirche, viele Freiheiten, so wird mir gesagt. Das ist es wohl, was viele Westler am Hinduismus schätzen, kein Gott, der den alleinigen Anspruch hat, der einzig Wahre zu sein.

Viele Götter, mit vielen Geschichten, wie hier im Tempel Mahabalipuram, in Südindien

Doch wie lebt es sich praktisch mit den vielen Göttern? Egal, ob in Chennai, Mubai, Delhi oder auf dem Land, überall gibt es Götterstatuen auf den Straßen. Menschen gehen vorbei, zünden eine Kerze an, halten ihre Andacht.

Gesehen im Slum in Chennai
auf den Straßen Delhis
in Delhi
mit Ghee (indischer Butter) gefüllte Kerzen gibt es an jedem Altar

Ist die Wohnung auch noch so klein, der Altar darf nicht fehlen. Selbst in den Slumwohnungen, wo sich manchmal 5,6 und mehr Menschen auf weniger als zehn Quadratmeter zusammenpferchen, zeigten mir die Frauen ihre Hausaltäre.

ein Hausaltar auf dem Regal, dafür findet sich immer ein Plätzchen

Wie unterschiedlich die Tempel sein können, erfahre ich bei unserer Stadtführung in Bengalore. Hier im Herzen der Stadt, die 1537 gegründet wurde, steht dieser Bullen-Tempel. Er ist Nandi geweiht, dem Reitbullen des Gottes Shiva. (leider dürfen im Tempel keine Fotos gemacht werden, so dass der vier Meter große Steinbulle hier nicht gezeigt werden kann). Shiva ist neben Brahma und Visnu einer der Hauptgötter des Hinduismus und Teil der hinduistischen Trinität. Gilt Brahma als der Schöpfergott und Vishnu als Gott der Erhaltung, ist  Shiva der Gott der Gegensätze. Denn er gilt einerseits als Zerstörer,  zugleich ist er die Ursache der Schöpfung. Denn ohne Zerstörung des alten Zyklus, kann keine neue Schöpfungsperiode entstehen, so das Denken. Shiva verfügt über vier Arme, hat drei Augen und sein Körper ist voll und ganz mit Asche eingerieben.  In den beiden rechten Händen trägt er einen Dreizack sowie eine Trommel.

Der Gott Shiva

Zu jedem Tempel gehören Priester, die direkt am Tempel wohnen. Priester kann nur werden, wer der Brahmanenkaste angehört. Also nicht aus Überzeugung, spiritueller Erfahrung, sondern nur durch Erbe.

Die Priester und ihr Familien wohnen direkt neben dem Tempel. Meist teilen sich mehrere Priester den Tempeldienst.

Doch der eigentliche Grund, warum der Tempel an dieser Stelle steht, liege an dem Baum, einer Banyan-Feige, die vor dem Tempel steht, erklärt mir der Führer. „Frauen mit Kinderwunsch, die nicht schwanger werden können, kommen hierher, um zu beten“, so die Erklärung. Meistens helfe das auch, fügt er hinzu. Tatsächlich ist der Baum auch bei unserem Besuch gut besucht. Ganze Familienclans sind gekommen, um hier zu picknicken. Wunschbäume, sogenannte Kalpavriksha, spielen in Hinduismus wie auch im Buddhismus eine wichtige Rolle.

Frauen beten unter diesen Bäumen, wenn sie keine Kinder bekommen können
Schlangen als Symbol für die Fruchtbarkeit

Für die Männer gebe es dafür andere Rituale, erzählt uns der Reiseführer weiter. Wer sich etwa  ein neues Auto kaufe, opfere Zitronen,  grüne Chilli oder eine Kokosnuss, um ein gutes Omen für das Auto zu erbeten. Klingt nach mächtig viel Aberglauben. Ob es wirklich hilft, im indischen Verkehrschaos unfallfrei zu bleiben?

Ein weiteres Ritual sind die weißen Kreide-Zeichnungen vor vielen Türen. Auch sie sollen Böses abhalten.

weiße Kreidezeichnungen vor jeder Tür

Nur wenige Kilometer vom Bullentempel entfernt, befindet sich der Gavi Gangadhareshwara Tempel. Hinter dem fast unaussprechbaren Namen befindet sich einer der ältesten Tempel von Bangalore. Er befindet sich auf einem höhlenartigen massiven Steinblock, den man nur gebückt begehen kann. Als der Tempel vor 500 Jahren erbaut wurde, gelang es den Baumeistern mit Hilfe zweier Steinplatten, die Sonne so einzufangen, dass sie an bestimmten Tagen im Jahr direkt auf den Schrein zielt.

Der Gavi Gangadhareshwara Tempel in Bengalore
Auf diesen Platten soll sich die Sonne reflektieren
Damit dieser Schein hell erstrahlt.

Vor dem Tempel tummeln sich die Händler: Kokosnüsse, Bananen, Blumen sind Opfergaben.

Opfergaben 

Der „vergessene“ Zyklon

Hätte ich auf Facebook nicht eine Meldung bekommen, eine mir bekannte Person befindet sich in Sicherheit, ich hätte es wohl auch nur am Rande mitbekommen. Aber jetzt kenne ich Betroffene und die Katastrophe bekommt ein Gesicht. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 165 Stundenkilometern riss der Zyklon „Titli“ über die Ostküste Indiens. Mindestens 300 000 Menschen im Bundesstaat Odisha wurden am Tag zuvor in Sicherheit gebracht, berichten indische Medien. Mindestens acht Menschen, darunter sechs Fischer starben. Die Küstenwache habe mindestens 30 Menschen gerettet.

Nun ist der Zyklon vorbei, noch viele Straßen stehen unter Wasser, viele Menschen haben das wenige Hab und Gut, das sie hatten, verloren. In deutschen Medien ist darüber nur in wenigen Zeitungen zu lesen. Warum eigentlich nicht? Geht unser Blick derzeit nur in die USA, wo ein Harrikane über Florida wüstet?

Sind tropische Wirbelstürme an der indischen Ozeanküste zu selbstverständlich? Oder Indien zu weit weg? 1999 war ein Zyklon mit bis zu 260 Stundenkilometern über Odisha hinweg gezogen. Damals starben mehr als 10 000 Menschen. Ich hoffe, so was passiert nicht noch einmal.

Gibt es eigentlich Graffitis an indischen Häusern?

Nachdem meine bisherigen Blogeinträge vor allem meine Reiseerlebnisse widerspiegelten, möchte ich heute damit beginnen, die Fragen, die mir im Vorfeld oder während meiner Reise gestellt werden, zu beantworten. „Gibt es in Indien eigentlich auch so viele Graffitis und Schmierereien an den Hauswänden wie in Deutschland?“, fragte mich jemand im Vorfeld meiner Reise.

Gute Frage. Mir waren bei früheren Reisen nie irgendwelche Graffitis oder Malereien aufgefallen. Aber warum eigentlich nicht? Oder gibt es eine Szene und mir ist sie nur noch nicht begegnet? So habe ich mich auf die Suche gemacht und zunächst einmal die Dinge gesammelt, die mir aufgefallen sind. (Ich habe dabei den Begriff Grafitti etwas weitergefasst… ).

Äußerst selten, aber immerhin doch gefunden, in Stein gemalte Liebesbekundungen

“Das willst du doch nicht etwa fotographieren wollen. Das ist doch nicht schön“, schimpft meine indische Kollegin. Wir sind unterwegs im Bundesstaat Maharashtra, drei Autostunden von Pune entfernt. Hier mitten in dieser gebirgigen Landschaft haben zwei Liebende ihr Glück verewigt. Etwas auffällig ist es, weil ich so was in Indien noch nicht gesehen habe. Wäre doch spannend zu erfahren, welche Geschichte verbirgt sich hinter den Buchstaben? Ich werde es wohl nie erfahren. Nur was ich erfahre ist, meine indische Begleitung findet die Malereien „eine Schande“. Tatsächlich habe ich bisher wenig Gemaltes an Häuserwänden entdeckt. Manchmal sind die Mauern entlang eines Gehwegs bemalt. Das sieht dann meist sehr ordentlich aus. Die Auftraggeber lassen sich die Zeichnungen meist viel Geld kosten, lasse ich mir sagen.

Bunte Schriftzüge machen die Straßen bunt
Selten, aber hübsch anzuschauen: Außenwerbung eines Restaurants, gesehen im Süden von Tamil Nadu

Interessanterweise gibt es in den Resettlementgebieten von Chennai, in den Häuserblocks, wo Menschen aus den Slums zwangsumgesiedelt wurden, etliche bunte Wände. Meist sind Botschaften damit verbunden:

Bunte Abwechslung in den sonst gleichförmigen Wohnblocks
Wandmalerei mit Botschaft
Wahlwerbung

Sucht man im Internet nach Graffitis in Indien, stößt man schnell auf eine zentrale Frage: sind Graffitis eigentlich legal? Ja, sind sie, heißt es da, immerhin habe es sie schon vor Zeiten geben, allerdings wie in vielen Ländern, sei es in Indien auch nur mit Einverständnis des Eigentümers erlaubt, Wände zu bemalen. Dafür sei es in Indien viel einfacher, Besitzer zu finden, die bereit sind, dass „Künstler“ ihre Wände dekorieren. Die Herausforderung bestünde vor allem darin, den Eigentümer vom eigenen Können zu überzeugen. Immer wieder reisen auch westliche Graffitikünstler mit ihren Farben im Gepäck nach Indien, um mit ihrer Kunst die Städte zu verschönern. Nur sollten sie beachten, ist im Netz zu lesen, dass der indische Monsunregen schnell auch mal ein Kunstwerk wieder wegwasche. In Großstädten wie Delhi oder Mumbai haben sich inzwischen Künstlerkolonien entwickelt. Die zu besuchen, könnte eine neue Geschichte werden.

 

 

 

 

Manjo, der Fußpfleger oder die Kehrseite von Indiens Männerdominanz

“Warum werden Indiens Frauen eigentlich so unterdrückt?“    Das ist bislang die häufigste Frage, die mir für meinen Blog  gestellt wurde und ich werde zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher darauf eingehen. Versprochen! Heute möchte ich das Thema von einem anderen Blickwinkel beleuchten: viele Berufe, die in Deutschland klar Frauenjobs sind, werden hier von Männern wahrgenommen, was ich ganz komisch finde.

Auch Verköufer sein ist Mönnersache.

Nie werde ich vergessen, wie ich bei einer früheren Indienreise in Chennai in ein renommiertes Bekleidungsgeschäft für Stoffe und Saris ging und gleich drei Männer versuchten, mich zu bedienen. Keine Frau weit und breit. Nicht dass Männer keine guten Verkäufer wären, aber es ist einfach ungwohnt, wenn ein Mann vor der Kabine steht und fragt: „Und passt es?“, während die anwesend Frauen (falls es welche gibt) sich verdrückten, manchmal auch, weil sie sich nicht getrauen, englisch zu sprechen.

Im indischen Schönheitssalon

Wenn ich auf Reisen bin, gehe ich gerne mal in einen Schönheitssalon. Denn egal wo auf der Welt es ist, schön auszusehen, ist nunmal ein Grundbedürfnis des weiblichen Geschlechts (und auch mancher Männer ). Ich finde Schönheitssalons sagen was über die Kultur des Landes. In den USA etwa sind es meist die Einwanderinnen aus spanischsprachigen Ländern, die Pediküre, Maniküre oder doch eine Massage anbieten. Dafür ist die Auswahl an Nagellack immens.

Überschaubar: die Auswahl an Nagellack im indischen Salon

In Ägypten ist der Schönheitssalon klar Frauensache. Hier wird geklatscht und getratscht, hier kann Frau sich zeigen, ohne Schleier und Kopftuch versteht sich. Und in Indien?

Tut gut: Fußpflege inklusive Massage

Seit Wochen laufe ich in Treckingsandalen durch die staubigen Straßen, nun könnten meine Füße eine Pflege vertragen. Also melde ich mich im Hotel zur Pediküre an. Drei Frauen warten am Eingang, dann werde ich in den Behandlungsraum geführt. Doch die Behandlung wird ihr männlicher Kollege Manjo durchführen, während die Frauen kichernd und lachend im Nachbarraum verschwinden. Erst als er fertig ist, kommen sie zurück.

02.10 – Ghandis Geburtstag

Heute ist in Indien Feiertag, dieses Mal ist es kein religiöser, sondern ein politischer: am 2. Oktober1869 wurde Mohandas Karamchand Gandhi in Porbandar im indischen Bundesstaat Gujarat geboren. Der Ehrenname Mahatma“ ( „große Seele“) wurde ihm erst später verliehen.  Gandhi soll über den Ehrentitel nicht glücklich gewesen sein. Bis heute gilt er mit seinem gewaltlosen Kampf gegen die britischen Machthaber, der schließlich Indien die Unabhängigkeit brachte, als „Vater der Nation“.

Ghandis Büste in an vielen Orten zu sehen, hier im Zentrum von Neu Delhi

Heute werde Ghandi vor allem bei vielen jungen Menschen durchaus kritisch gesehen, hatte mir jüngst eine Geschichtsprofessorin erklärt. Viele könnten mit seiner Bedeutung, seinen gewaltfreien Aktionen und seinem Erbe nichtmehr viel anfangen. Es sei leichter eine Statue zu errichten, als über sein Erbe zu sprechen so die Professorin. Tatsächlich gibt es in den meisten Städten Statuen, die an den „Vater der Nation“ erinnern. Auch sind von Ghandi viele Zitate überliefert wie etwa dieses: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“

Interessant fand ich die Sprüchesammlung am Flughafen in Mumbai. Hier eine Auswahl:

Sanitäre Anlagen sind wichtiger als politische Unabhängigkeit. Ersteres gibt es heute leider noch nicht ausreichend.

Leben im *****-Sterne Slum

60 Prozent der Menschen in Mumbai leben in Slums. In einer dreistündigen Tour bietet die Organisation „Reality Tour & Travel“ Führungen durch einen der größten der Stadt, den Dharavi Slum, an.  Schätzungsweise eine Million Menschen leben hier auf zwei Qadratkilometer Fläche dicht gedrängt. Bekannt wurden Mumbais Slums 2008 durch den Film „Slumdog Millionaire“. Hier einige meiner Eindrücke.

Zugang zum Slum, während der Tour durften keine Bilder gemacht werden

Jaana Poojari war 15 Jahre alt als er nach Mumbai kam. Der Bauernjunge aus Südindien hatte Träume, große Träume. So wie Millionen anderer, die der große Traum vom Leben in die Millionenstadt treibt. Heute 13 Jahre später lebt er in einem der größten Slums Mumbais und führt Touristen durch die engen Gassen.

Hier befindet sich das Büro der Slumtouren-Organisation. 80 Prozent der Gewinne gehen in Projekte zur Entwicklung des Slumlebens

„Ein Slum ist nichts anderes als Häuser, die auf Land gebaut wurde, das eigentlich dem Staat gehört“, so der Touristenführer. Mit dem Wort Slum habe ich bisher andere Begriffe verbunden: Armut, Hunger, ungesunde Lebensbedingungen und Arbeitslosigkeit. Mit einigen dieser Vorstellungen westlicher Touristen will Jaana aufräumen und zeigt uns, womit Menschen im Slum ihren Lebensunterhalt verdienen. In einer Straße wird Plastikabfall sortiert, kleingeschreddert und dann in Form von kleinen Pellets weiterverkauft. In einer anderen Straße sind die Gerber ansässig. Das Leder wird zu Taschen, Geldbörsen und Gürteln verarbeitet und dann in einem Shop an die Touristen verkauft. Die Menschen hier verdienen gutes Geld, will der 28jährige beim Gang durch die schmalen Gassen und vermüllten Wegen überzeugen. „Wer hier lebt, gehört zur Mittelklasse“, ist er überzeugt. Für deutsche Ohren ist das schwer nachvollziehbar. Auch dass angeblich 40 Prozent von Mumbai Polizisten im Slum leben, was diesen besonders sicher mache. Nur ein Problem lasse sich schwer lösen, so  Jaana, die sanitären Verhältnisse.

Öffentliche Toiletten nutzen, für viele Inder ist das Alltag

Tatsächlich haben die wenigsten Häuser eigene Badezimmer. So müssen die Menschen die öffentlichen Toiletten benutzen. Der Wunsch nach bessere sanitären Einrichtungen sei einer der wenigen Gründe, warum junge Leute bereit wären, den Slum zu verlassen und in einer der von der Stadt bereitgestellten Hochhäuser umzuziehen, so Jaana. Tatsächlich will die Stadt allen Slumbewohnern, die vor der Jahrtausendwende bereits im Slum registriert waren, anderen Wohnraum zur Verfügung stellen. Was sich zunächst gut anhört, wurde in anderen indischen Städten wie etwa Chennai zum Desaster. Nach der Umsiedlung müssen die Slumbewohner zum Teil wesentlich längere Strecken zu ihren Arbeitsplätzen zurücklegen. Für viele Slumbewohner ein Preis, den sie nicht zahlen wollen.

Auch diese Tongefäße werden im Dharavi Slum hergestellt. Bevor es Kühlschränke gab, wurden darin Lebensmittel gekühlt.

Zum Schluß zeigt uns Jaana noch eine typische Slumwohnung. Vier Personen teilen sich einen zirka fünf Quadratmeter großen Wohnraum. Die Decke ist abgehängt, so dass noch Platz zum Schlafen geschaffen wurde. In einer Ecke sind zwei Gasplatten, daneben eine Spüle, darüber ein Regal mit Gewürzen. An der Wand hängt ein Flachbildschirm, darüber ein Regal mit Fotos. Daneben hängt eine Art Schrein als Altar. „Der darf nicht fehlen. Jede Familie hat ihren eigen Gott“, erzählt unser Slumführer. Vier Personen auf so engem Raum, in Deutschland wäre das kaum vorstellbar!!!

Nach 13 Jahren in Mumbai hat Slumführer Jaana inzwischen neue Träume. Er möchte wieder in seine Heimat zurückkehren, aufs Land zu seiner Familie und in die Fußstapfen seiner Vaters treten. In Mumbai zu leben, koste seinen Preis, meint er. Die schlechte Luft, der dichte Verkehr und der wenige Platz mache das Leben in der Stadt manchmal ganz schön anstrengend.

Mumbai -Stadt der Gegensätze, nirgendwo wohnen so viele Menschen im Slum und sind die Immobilienpreise so hoch

Leider war es verboten, während der Tour Fotos zu machen. Die gezeigten Bilder sind alle außerhalb des Dharavi Slums aufgenommen. Lediglich das nachfolgende wurde vom Veranstalter der Tour zur Verfügung gestellt.

Cardboard Recycling

 

Campusleben: Gaststudentin an Indiens Eliteschmiede

Die Symbiosis International University, eine private Universität, ist besonders stolz auf ihre internationale Ausrichtung. Heute möchte ich ein bischen von meinem indischen „Studenten“-Alltag erzählen. Eine Woche lang waren wir im Rahmen unseres Programms an der „Symbiosis International University“ in Pune, einer der renommiertesten Privatunis des Landes. Eigenen Angaben zufolge rangiert die Universität in vielen Disziplinen unter den Top 10. Überprüfen kann ich das nicht, aber wenn man sich den Campus anschaut, mit den Studierenden spricht und etwas Hintergründe über das indische Bildungwesen erfährt, kann man sich denken, wie priviligiert die Studierenden hier sind. Dafür zahlen sie auch einen hohen Preis.  Etliche tausend Euro betragen die Studiengebühren, viel Geld in einem Land, wo der Durchschnittsverdienst bei rund 1000 Euro liegt (in Deutschland: € 30000).

Dafür bietet das Campusleben viel Komfort.

In der Ferne die Stadt. Die Abgeschiedenheit hat auch Vorteile: viel Ruhe, gute Luft, wenig Ablenkung
Die Bushaltestelle, die Verbindung zur Stadt
Bei uns besonders beliebt: das Schwimmbad
Der Sportkomplex
Die Kantine
Ganz modern: überall stehen Leihfahrräder auf dem Campus
Hat mich sehr beeindruckt: bunte Saris als Arbeitskleidung für die Reinigungskräfte
Überall bunte Abfalleimer
Studententreffpunkt: der Platz vor der Kantine
Außergewöhnlich: zum Unigelände gehört auch ein Hubschrauberlandeplatz
Gäste der Uni werden mit dem Golfwagen gefahren

Wir bekommen in der einen Woche viele interessante Vorträge mit Professoren der unterschiedlichsten Fachbereiche und besuchen eine internationale Medienkonferenz. Was für ein Privileg, in einem Land, in dem Zugang zu guter Bildung  zu den größten nationalen Herausforderungen zählt. Nur rund jeder vierte Schüler erreicht ein Schulniveau, das ihm den Besuch eines weiterführenden College ermöglicht. Es gibt zwar staatliche Schulen, aber Lehrer sind schlecht bezahlt und ihr Gehalt hängt von der Zahl ihrer Schüler ab, so lerne ich. Vor allem auf dem Land sei die Situation problematisch. Viele Kinder werden von ihren Eltern nur zur Schule geschickt, weil es dort gutes Essen gäbe, erzählt uns Dr. Vidya Yeravdekar, deren Vater selbst Lehrer war und die Symbiosis-Universität gegründet hat. Vor allem Mädchen werden häufig viel zu früh von der Schule genommen, um zu arbeiten oder zu heiraten. Vor allem in den nördlichen Bundesstaaten sei dies ein großes Problem. In der Bildung gäbe es ein Nord-Südgefälle, lerne ich. Hilfe zur Selbsthilfe beginne damit, den Eltern klar zu machen, wie wichtig es ist, ihre Mädchen zur Schule zu schicken. „Empower the girls, empower the family“, so Yeravdekar. Leider sei Bildung nur bei den wenigsten Politikern auf der Agenda, so die Schulleiterin.

Bye, bye Bangalore – willkommen Pune

Heute ging unsere Reise weiter von Bangalore nach Pune. Das heißt, genauer gesagt sind wir nun zirka eine Autostunde außerhalb der Millionenstadt Pune an der Symbiosis International University.  http://www.siu.edu.in.

 

Der Campus der Privatuniversität liegt auf einem Berg, abseits jeglicher Wohnviertel.

Nach zweieinhalb Wochen Grosstadttrubel dürfen sich meine Ohren wieder an das Zwitschern der Vögel und das Zurren der Grillen gewöhnen. Aber ich wäre nicht in Indien, wenn nicht doch in der Ferne Trommelgeräusche zu hören wären.

Und Bangalore und Pune scheinen zwei Welten zu sein.

Abflug Bangalore

Bangalore hat mich seinem vielen Grün, den angenehmen Temperaturen und dem relativ westlichen Lebensstil sehr begeistert.

800 Kilometer liegen zwischen Bengalore und Pune

Als wir nach einer Stunde Flug in Pune ankommen, sind die Straßen nass vom letzten Regenschauer. Auf den ersten Blick erschließt es sich mir nicht, dass diese Stadt auch zu den lebenswertesten des Landes gehören soll. Bei der Fahrt durch die Innenstadt wirkt sie eher auf mich eher heruntergekommen. besonders fallen mir die vielen Satelitenschüsseln auf den Wellblechhütten auf.

Satellitenschüsseln über jeder Wellblechhütte, das habe ich in Indien bislang nicht gesehen

Nach einer Weile fahren wir durch eine Geschäftsstraße, an der sich ein westlicher Laden an den anderen reiht.

Unten Geschäfte und oben…
Wahlplakate gibt es hier überall
Das Postamt…

Umso erstaunter bin ich, zu sehe, dass sich in den Stadtrandgebieten ein neugebauter Wohnblock an den anderen reiht. Vieles ist noch im Entstehen, so auch die Straße,  die sich nach dem Regen in ein Schlammloch verwandelt hat.