Der Hinduismus ist eine der Religionen, die ich bislang am wenigsten verstehe und zu denen ich bisher auch kaum Zugang hatte. Das heißt, irgendwie ist der Hinduismus -oder das, was ich davon mitbekommen auch wiederum einfach zu erklären: es gibt eine Vielzahl an Götter, wohl rund drei Millionen, und jeder sucht sich den aus, der eben passt. So hat jede Familien ihren Gott und es gibt auch durchaus regionale Unterschiede. Dafür kein Papst, der sagt, wo‘s langgeht, keine Dogmen, keine organisierte Kirche, viele Freiheiten, so wird mir gesagt. Das ist es wohl, was viele Westler am Hinduismus schätzen, kein Gott, der den alleinigen Anspruch hat, der einzig Wahre zu sein.
Doch wie lebt es sich praktisch mit den vielen Göttern? Egal, ob in Chennai, Mubai, Delhi oder auf dem Land, überall gibt es Götterstatuen auf den Straßen. Menschen gehen vorbei, zünden eine Kerze an, halten ihre Andacht.
Ist die Wohnung auch noch so klein, der Altar darf nicht fehlen. Selbst in den Slumwohnungen, wo sich manchmal 5,6 und mehr Menschen auf weniger als zehn Quadratmeter zusammenpferchen, zeigten mir die Frauen ihre Hausaltäre.
Wie unterschiedlich die Tempel sein können, erfahre ich bei unserer Stadtführung in Bengalore. Hier im Herzen der Stadt, die 1537 gegründet wurde, steht dieser Bullen-Tempel. Er ist Nandi geweiht, dem Reitbullen des Gottes Shiva. (leider dürfen im Tempel keine Fotos gemacht werden, so dass der vier Meter große Steinbulle hier nicht gezeigt werden kann). Shiva ist neben Brahma und Visnu einer der Hauptgötter des Hinduismus und Teil der hinduistischen Trinität. Gilt Brahma als der Schöpfergott und Vishnu als Gott der Erhaltung, ist Shiva der Gott der Gegensätze. Denn er gilt einerseits als Zerstörer, zugleich ist er die Ursache der Schöpfung. Denn ohne Zerstörung des alten Zyklus, kann keine neue Schöpfungsperiode entstehen, so das Denken. Shiva verfügt über vier Arme, hat drei Augen und sein Körper ist voll und ganz mit Asche eingerieben. In den beiden rechten Händen trägt er einen Dreizack sowie eine Trommel.
Zu jedem Tempel gehören Priester, die direkt am Tempel wohnen. Priester kann nur werden, wer der Brahmanenkaste angehört. Also nicht aus Überzeugung, spiritueller Erfahrung, sondern nur durch Erbe.
Doch der eigentliche Grund, warum der Tempel an dieser Stelle steht, liege an dem Baum, einer Banyan-Feige, die vor dem Tempel steht, erklärt mir der Führer. „Frauen mit Kinderwunsch, die nicht schwanger werden können, kommen hierher, um zu beten“, so die Erklärung. Meistens helfe das auch, fügt er hinzu. Tatsächlich ist der Baum auch bei unserem Besuch gut besucht. Ganze Familienclans sind gekommen, um hier zu picknicken. Wunschbäume, sogenannte Kalpavriksha, spielen in Hinduismus wie auch im Buddhismus eine wichtige Rolle.
Für die Männer gebe es dafür andere Rituale, erzählt uns der Reiseführer weiter. Wer sich etwa ein neues Auto kaufe, opfere Zitronen, grüne Chilli oder eine Kokosnuss, um ein gutes Omen für das Auto zu erbeten. Klingt nach mächtig viel Aberglauben. Ob es wirklich hilft, im indischen Verkehrschaos unfallfrei zu bleiben?
Ein weiteres Ritual sind die weißen Kreide-Zeichnungen vor vielen Türen. Auch sie sollen Böses abhalten.
Nur wenige Kilometer vom Bullentempel entfernt, befindet sich der Gavi Gangadhareshwara Tempel. Hinter dem fast unaussprechbaren Namen befindet sich einer der ältesten Tempel von Bangalore. Er befindet sich auf einem höhlenartigen massiven Steinblock, den man nur gebückt begehen kann. Als der Tempel vor 500 Jahren erbaut wurde, gelang es den Baumeistern mit Hilfe zweier Steinplatten, die Sonne so einzufangen, dass sie an bestimmten Tagen im Jahr direkt auf den Schrein zielt.
Vor dem Tempel tummeln sich die Händler: Kokosnüsse, Bananen, Blumen sind Opfergaben.