Gestern ging es mit dem Zug von Chennai nach Bengalore. Fast fünf Stunden dauert die Fahrt. Für indische Verhältnisse eine kurze Strecke. Neulich erzählte mir eine indische Bekannte, sie sei 24 Stunden im Zug gefahren ohne festen Sitzplatz.
Unsere Fahrt wird anders verlaufen, nicht nur, weil sie kürzer ist, sondern auch, weil wir uns Tickets für den Expresszug mit Klimaanlageleisten können.
Dafür ist die Landschaft, durch die wir fahren genial: Reisfelder, Kokosplantagen, Berge…
Um nach knapp fünf Stunden in Bangalore anzukommen, eine Stadt, die nicht nur sehr grün ist, mit angenehmen Termperaturen. Irgendwie schafft es die Stadt schnell, dass ich sie sympathisch finde.
„Hättest du noch Lust mit an den Strand zu kommen?“ Das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Chennai liegt am Indischen Ozean. Was könnte es da Schöneres geben als einen Abendspaziergang am Wasser? „Können wir nicht direkt im Sand am Wasser gehen?“, frage ich meine Begleitung. „Ich glaube kaum, dass du das möchtest“, so die Antwort. Der Strand ist für die Menschen, die hier im Fischerdorf leben, auch ihr Badezimmer. Später werde ich erfahren, dass schätzungsweise jeder Zehnte Inder kein eigenes Bad hat. Besonders für Frauen und Kinder ist es gefährlich, wenn sie bei Dunkelheit Ihre Häuser verlassen müssen, um ihre Notdurft zu verrichten.
Wie schade. Schon im Vorfeld der Reise hatte ich mich darauf gefreut, im Meer spazieren gehen zu können. Doch auch der Gang durchs Fischerdorf ist spannend. Beim Blick durch die offene Wohnungstür fällt mir das Fernsehgerät auf. „Den gab‘s als Geschenk bei einer der letzten Wahlen“, erklärt mir meine Begleitung.
Von Geschenken dieser Art hatte ich schon gehört, aber bislang dachte ich, das wären kleinere wie ein Stück Seife etc.
„In dieser Familie gab es wohl was zu feiern“, höre ich meine Begleitung sagen. „Dann werden die Häuser bunt angemalt“.
In diesem Dorf ist das bunte Haus auffällig. Später werde ich solche Häuser noch häufiger sehen. Auch die „heilige Kuh“ ist an diesem Abend unterwegs, sucht sich ihr Fressen im Müll, auf einem Grundstück, das ebenfalls als Badezimmer benutzt wird. Zu stören scheint sie das nicht.
Noch in Deutschland wurde mir der Tipp gegeben, wenn ich schon im Süden Indiens bin, mir doch einmal Tranquebar anzuschauen. Heute heißt der Ort Tharangambadi und liegt rund 270 Kilometer südlich von Chennai.
Vor 300 Jahren war Tranquebar Stützpunkt der dänischen Kolonie. Im Auftrag des dänischen König wurde der sächsische Theologe Bartholomäus Ziegenbalg (siehe nächster Blogeintrag) 1706 vom dänischen König als erster protestantischer Missionar dorthin entsandt. Der Ausflug nach Tharangambadi war zugleich meine erste Tour alleine und deshalb einen extra Eintrag wert.
“Sechs Stunden Fahrt für 270 Kilometer?“, anfangs wollte ich nich so recht glauben, dass es so lange dauern würde, um nach Tharangambadi zu kommen. Sollte ich es trotzdem machen, war es den Aufwand wert?
Nachdem ich erfahren hatte, dass es zwar einen durchgängigen Bus gibt, dieser aber nur mitten in der Nacht ankommt, entschied ich mich für die Bequemvariante, einen Fahrer mit Auto mieten. Das Gute daran ist, man braucht sich um nichts, wirklich gar nichts zu kümmern. Aber ein bischen gewöhnungsbedürftigt ist es…
Pünktlich um 7 Uhr steht der Fahrer vor der Tür. Er spricht etwas englisch und will natürlich sofort wissen, was ich beruflich mache. (Manche Inder sind sehr neugierig. Man kann es auch so sehen: das Gespräch mit einem Ausländer ermöglicht ihnen einen Einblick in eine Welt, die sie möglicherweise nie mit eigenen Augen werden sehen können). Als ich meinem Fahrer erzähle, was ich mache, erzählt er mir auf gebrochenem Englisch, dass auch er schreibe, vor allem auf Facebook und zeigt mir stolz seine Einträge, die ich nicht verstehe, weil sie auf Tamil sind.
Nach etwa zwei Stunden machen wir unsere Frühstückspause, die mein Fahrer mit der Frage ankündigt, ob ich einen Kaffee möchte. (Den anderen zu fragen, ob er was möchte, ist die indische Art auszudrücken, dass man gerade selbst ein Bedürfnis hat).
Nach einem Dosa und Kaffee (siehe mein Blogeintrag zum indischen Frühstück), geht es weiter. Je weiter wir in Süden kommen, desto mehr verändern sich Straßen und Landschaft. Die Straßen werden schmaler und enger, was meinen Fahrer keineswegs davon abhält möglichst schnell zu fahren, bei jeder Gelegenheit zu überholen oder es zumindest zu versuchen.
Hier ein paar Eindrücke von der Fahrt:
Nach einer Weile fragt mich mein Fahrer, ob ich Lust auf eine Kokosnuss habe. Wir nehmen beide gleich zwei, weil die Früchte so lecker sind. Zuerst wird der Saft getrunken, dann schneidet der Händler die Frucht so auf, dass man das Fleisch essen kann. Dabei schnitzt er in Sekundenschnelle aus einem Teil der Nuss einen Löffel. Was für eine pragmatische Lösung!!! Da die Nuss noch relativ frisch ist, ist das Fleisch glitschig und sehr weich.
Nach sechs Stunden Fahrt erreichen wir endlich Tharangambadi, das früher den europäischen Namen Tranquebar hatte.
Tharangambadi liegt direkt am indischen Ozean. So verlockern es aussieht, Baden ist hier leider nicht möglich. Auch die einheimischen Touristen strecken nur ihre Füße ins Wasser. Ich bin überrascht, wie gewaltig die Strömung ist. Mit jeder Welle werden gut 10 Zentimeter Sand unter meinen Füßen ins Meer gespült. Als an Weihnachten 2004 der Tsunami kam, wurden auch hier die Fischerboote zerstört und viele Menschen starben. Hilfe kam damals auch aus Deutschland, u.a. aus Ziegenbalgs Heimatstadt Pulsnitz. Die Boote konnten ersetzt werden, doch wie die Menschen hier das Trauma überlebten bzw. welche Wunden der Verlust von Eltern, Verwandten oder Freunden geschlagen hat, lässt sich nur erahnen.
Mein erster Tag in Chennai. Vor eineinhalb Jahren war ich schon einmal in der viertgrößten Metropolregion Indiens. Zwei Wochen lang werde ich dieses Mal im Rahmen des Medienbotschafterprogramms der Bosch-Stiftung hier sein. Am Nachmittag treffen wir uns im Café Amethyst. Eine wunderschöne Idylle inmitten der sonst lärmenden Stadt. Abends brauche ich ein Taxi, das mir unsere indische Programmkoordinatorin netterweise bestellt, weil ich noch keinen Internetzugang habe. „Mit Uber-Taxis zu fahren ist absolut sicher. Während du unterwegs bist, kann ich genau verfolgen, wo du bist.“ Willkommen in der indischen Taxiwelt. Dank der amerikanischen Taxi-App Uber und seinem indischen Pendant Ola, ist vor allem für Frauen das Taxi zu einem attraktiven Fortbewegungsmittel geworden. Denn mit Hilfe der App kann sowohl derjenige, der sich befördern lässt, als auch Freunde, Bekannte, die dazu eingeladen werden, nachvollziehen, wo man bzw. frau sich gerade aufhält. Also steige ich ein, ohne mir Gedanken zu machen. Das Ziel, der Supermarkt in der Nähe meiner Unterkunft. Von dort sind es zu Fuß nur noch wenige Meter. Nach einer Viertelstunde lässt mich der Taxifahrer vor einer OMR-Zentrale aussteigen. Ich bezahle, rufe meine Freundin an, bei der ich wohne. Noch bin ich mit der Gegend nicht vertraut. Sie bietet mir deshalb an, mich mit dem Roller abzuholen. Also warte ich. Fünf Minuten vergehen. Von meiner Freundin nichts zu sehen. Langsam macht sich ein Gedanke breit: stehe ich tatsächlich vor dem richtigen Supermarkt??? Um sicher zu gehen, hole ich mein Handy hervor, gebe im GPS meinen Standort ein. Noch habe ich keine indische SIM-Karte. Eine gefühlte halbe Ewigkeit vergeht bis Google-Maps sich öffnet und mir anzeigt, ich stehe zwar an einer der großen Ausfallstraßen Richtung Süden, aber meine Freunde wohnen an der anderen. Was tun? Wieder rufe ich meine Freundin an, versuche ihr zu beschreiben, wo ich stehe. „Am OMR-Markt gegen über des AKPG-Gebäude.“ Meine Freundin versucht meinen Standort zu lokalisieren und bietet mir an, ein Taxi zu rufen. Es ist acht Uhr abends, noch sind viele Menschen unterwegs, doch in der Millionenstadt komme ich mir verloren vor. Abends sollten Frauen nicht alleine unterwegs sein, hatte ich doch erst noch vor wenigen Tagen gelesen. Ich fühle mich nicht unsicher, nur einfach fremd und verloren. „Ich habe dir ein Taxi bestellt, es ist in 5 Minuten da und 5608 sind die letzten vier Zahlen auf dem Nummerschild“, höre ich meine Freundin sagen. Tatsächlich kommt ziemlich genau nach 5 Minuten ein Auto angefahren, der Fahrer winkt mir freundlich zu. Bevor ich einsteige, schaue ich auf das Nummerschild. Die Zahlen stimmen. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich kann die Fahrt am Handy verfolgen“, hatte mir meine Freundin noch zugerufen. Als ich ankomme, wartet meine Freundin bereits mit dem Handy in der Hand….
“So du bist gelandet. Wir haben es auf Flight Radar verfolgen können. Ganz schön lange der Flug.“ Es ist drei Uhr morgens in Chennai. Endlich bin ich angekommen.
Eigentlich sollte mein Flieger noch vor Mitternacht landen. Wenn alles gut geht, könnte ich gegen ein Uhr bei meinen Freunden sein, so war der Plan. Doch leider war nicht alles gut gegangen: in Frankfurt hatte die Maschine zuerst ein technisches Problem, dann funktionierte die Enteisung nicht ( warum die auch bei Plustemperaturen nötig ist, habe ich nicht verstanden), dann konnte eine Startbahn aufgrund der Windverhältnisse nicht genutzt werde. Kurzum, wir kommen erst mit einer guten Stunde Verspätung los. In Chennai angekommen, geben uns die Grenzbeamten auch erst nach einer ausführlichen Befragung den Stempel in den Paß. Inzwischen ist es in Chennai drei Uhr morgens, in Deutschland halb zwölf Uhr abends. Trotz meiner Müdigkeit will ich mich noch schnell ins Internet einloggen und Bescheid geben, dass ich gut angekommen bin. Nicht nötig, meine Freunde haben den Flugverlauf beobachtet. Ob sie auch gesehen haben, dass es hier zur mitternächtlichen Stunde noch „angenehme 29 Grad hat“, wie mir die Einheimischen bei der Ankunft sagen?